Weniger Operationen durch abbaubare Implantate

Bremen, /

© Fraunhofer IFAM
Der Demonstrator für einen Schulteranker aus Eisen-Tricalciumphosphat (FE-TCP) ist nur unwesentlich größer als ein Streichholzkopf.

Bislang verwenden Mediziner bei Knochenbrüchen Implantate aus Stahl und Titan, die nach der Heilung operativ entfernt werden müssen. Um Patienten belastende Eingriffe zu ersparen, arbeiten Fraunhofer-Forscher jetzt an Knochenersatz, der sich vollständig im Körper abbaut. Dabei setzen sie auf Materialkombinationen aus Metall und Keramik. Vom 12. bis 14. November wird auf der Messe COMPAMED in Düsseldorf der Demonstrator eines Schulterankers präsentiert (Halle 8a, Stand K38).


Kein Gelenk des menschlichen Körpers verfügt über eine so hohe Beweglichkeit wie die Schulter. Sie ist jedoch auch sehr empfindlich und anfällig für Verletzungen, vor allem Sportler sind betroffen. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Sehnenrisse, die operativ behandelt werden müssen. Der Chirurg fixiert die Risse mithilfe von Schulterankern.
Bisher werden solche Implantate aus Titan oder Kunststoff gefertigt – mit dem Nachteil, dass diese auch nach der Heilung im Körper verbleiben oder Ärzte sie in einem zweiten Eingriff wieder entfernen müssen. Um dies zu vermeiden, entwickeln Forscher am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen lasttragende, biologisch abbaubare Implantate, die vollständig vom Körper resorbiert werden. Im ersten Schritt haben sie per Pulverspritzguss einen
Schulteranker gefertigt, der als Demonstrator vorliegt. Die Forscher präsentieren ihn vom 12. bis 14. November auf der Messe COMPAMED in Düsseldorf.


Calciumphosphat regt Heilungsprozess des Knochens an


»Mit dem Implantat lassen sich abgetrennte Sehnen am Knochen verankern, bis diese wieder angewachsen sind. Da die Funktion des Fixationselements nach der Heilung erfüllt ist, wird es nicht mehr im Körper benötigt. Wenn möglichst verschleißfeste Ersatzkomponenten erforderlich sind – wie bei einem künstlichen Hüftgelenk – wird man sicher weiterhin auf metallische Legierungen wie Titan zurückgreifen. Doch für Platten, Schrauben, Stifte und Nägel, die nicht im Körper bleiben sollen, gelten andere Anforderungen«, sagt Dr. Philipp Imgrund, Sprecher des Geschäftsfelds Medizintechnik und Life Science am IFAM. Gemeinsam mit den Fraunhofer-Instituten für Lasertechnik ILT, für Biomedizinische Technik IBMT und für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB etabliert das IFAM im Projekt »DegraLast« eine Werkstoff- und Technologieplattform, um degradierbare, sprich biologisch abbaubare Knochenimplantate für den Einsatz in der Unfallchirurgie und Orthopädie herzustellen. Diese sollen nach und nach vom Körper aufgenommen werden, während sich gleichzeitig neues Knochengewebe bildet. Idealerweise ist der Grad der Degradation an das Knochenwachstum so angepasst, so dass Abbau des Implantats und Knochenaufbau ineinandergreifen. Dafür entwickeln die Wissenschaftler Materialien mit gezielt einstellbarem Degradationsverhalten. Die Herausforderung: Die Implantate müssen während des kompletten Heilungsprozesses mechanisch stabil genug sein, um den Knochen zu fixieren. Zugleich dürfen sie keine allergene Wirkung haben und Entzündungen hervorrufen. Die Forscher am IFAM setzen auf Metall-Keramik-Komposite. Sie kombinieren eine metallische Komponente auf Basis einer Eisenlegierung mit Beta-Tricalciumphosphat (TCP) als keramische Komponente. »Eisenlegierungen korrodieren langsam und sorgen für hohe
mechanische Festigkeiten, während Keramik sich schnell zersetzt, das Knochenwachstum anregt und das Einwachsen des Implantats begünstigt«, erläutert Imgrund die Vorteile dieser Werkstoffkombination.


Um die Werkstoffkomposite herstellen zu können, wenden die Forscher das Pulverspritzgussverfahren an. Es bietet die Möglichkeit, komplexe Strukturen kostengünstig in großer Stückzahl zu fertigen. Eigenschaften wie Dichte und Porosität lassen sich gezielt steuern – ein wichtiger Faktor, da hohe Dichten und geringe Porosität hohe mechanische Festigkeiten bewirken. Ein weiterer Vorteil: Die Werkstoffe liegen als Pulver vor und können vor der Verarbeitung in jedem beliebigen Verhältnis gemischt werden. Doch welches Mengenverhältnis ist das Richtige? In Laborversuchen haben die Forscher die optimale Zusammensetzung der Werkstoffe für den Schulteranker herausgefunden. Der Demonstrator besteht zu 60 Prozent aus Eisen, der Keramikanteil beträgt 40 Prozent. »Es ist wichtig, die richtige Menge Keramik in Abhängigkeit der Pulvergröße zu bestimmen. Ist der Anteil zu hoch, wird das Material spröde. Andererseits lässt sich mit dem Tricalciumphosphat das Abbauverhalten des Implantats beschleunigen«, so
Imgrund. Den Forschern ist es gelungen, die Abbaugeschwindigkeiten von 120 auf 240 Mikrometer pro Jahr am Labormodell zu verdoppeln. Der Schulteranker wäre also innerhalb von ein bis zwei Jahren vom Körper resorbiert.


Während sich formgebende Verfahren wie der Pulverspritzguss vor allem für Standardimplantate in großen Stückzahlen wie Fixationselemente eignen, werden generative Verfahren eingesetzt, um Individualimplantate – etwa für den Knochenersatz im Schädelbereich – oder Implantate mit definierter Porenstruktur herzustellen. Die ebenfalls am Projekt beteiligten Forscher vom ILT erzeugen Implantate aus Magnesiumlegierungen mittels Selective Laser Melting (SLM). Um die Unbedenklichkeit der neuartigen Kompositwerkstoffe von vornherein sicherzustellen, etablieren Kollegen vom IGB im Projekt »DegraLast« zellbasierte in-vitro-Testsysteme zur Analyse des Einwachsverhaltens im Knochen. Die Wissenschaftler am IBMT wiederum arbeiten an einem in-vivo-Monitoringsystem, mit dem sich das Abbauverhalten der Implantate im menschlichen Körper überwachen und dokumentieren lässt.

Letzte Änderung: