Fraunhofer IFAM entwickelt zweifachen Infektionsschutz für Implantate

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Hüftschaftdemonstrator mit hybrider Beschichtung im Schaftbereich.
© Fraunhofer IFAM
Hüftschaftdemonstrator mit hybrider Beschichtung im Schaftbereich.
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Osteoblast-ähnlichen Zellen (MG-63) auf der Hybrid-Beschichtung.
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Elektronenmikroskopische Aufnahme von Osteoblast-ähnlichen Zellen (MG-63) auf der Hybrid- Beschichtung.

Eine hybride Beschichtung von Implantaten aus antibakteriell wirksamem Silber und einem Antibiotikum soll künftig Patienten vor Infektionen schützen. Für noch bessere Schutzwirkung wird das Antibiotikum speziell auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Das Projekt AntiSelektInfekt entstand in Zusammenarbeit mit einem Forscher-Team der Charité-Universitätsmedizin Berlin.

Wer heute im Krankenhaus ein künstliches Knie-, Schulter- oder Hüftgelenk bekommt, darf darauf vertrauen, dass er die bestmögliche Behandlung auf dem neuesten Stand der Medizin erhält. Doch ohne Risiko ist das Einsetzen von Implantaten nicht. Bei durchschnittlich 1-2 % der Patientinnen und Patienten treten nach der Operation Infektionen auf. Sind die Beschwerden so gravierend, dass eine Revision, also die erneute chirurgische Behandlung, notwendig wird, ist bei bis zu 4 % der Fälle mit Infektionen zu rechnen1. Auch wenn das individuelle Risiko im unteren Prozentbereich liegt, so betrifft es doch aufgrund der Häufigkeit der Operation viele Patienten. In Anbetracht der demographischen Entwicklung wird auch die Zahl der Prothesenoperationen stetig zunehmen. Wenn die verabreichten Antibiotika nicht helfen, droht ein langwieriger und schmerzhafter Verlauf. Im schlimmsten Fall muss das Implantat ersetzt werden. 

Der neue Ansatz verspricht nun, das Infektionsrisiko deutlich zu senken. Hierfür wird das Implantat mit einer hybriden Beschichtung versehen: Antibakteriell wirksames Silber und ein Antibiotikum, das individuell auf den Patienten bzw. Keim abgestimmt ist. Die Idee entstand vor vier Jahren am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen. Kai Borcherding, Geschäftsfeldleiter Medizintechnik und Life Sciences am Fraunhofer IFAM, sagt: »Die Behandlung von Oberflächen gehört zu den Kompetenzen unseres Instituts. Der Transfer dieser Fachexpertise in die Medizin war sehr naheliegend.«

Kooperationsprojekt mit der Charité

Weiterentwickelt, getestet und realisiert haben die Fraunhofer-Forschenden diese Idee im Projekt AntiSelektInfekt in Zusammenarbeit mit Forschern des Julius-Wolff-Instituts und des BIH Centrums für Regenerative Therapien (BCRT) der Berliner Charité. Die Ergebnisse sind  vielversprechend. »Die präklinischen Studien haben bewiesen, dass die hybride Beschichtung des Implantats die Infektionsrate wirksam senkt«, erklärt Prof. Britt Wildemann. Sie leitete die Studien zur Wirksamkeit und Biokompatibilität in Berlin und ist jetzt Leiterin der Experimentellen Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Jena. 

Die Idee, Implantate zu beschichten, ist prinzipiell nicht neu. Schon lange wird die Wirkung von Silber oder Antibiotika bei der Bekämpfung von Implantat-assoziierten Infektionen erforscht. Neu ist allerdings der Ansatz, beide miteinander zu kombinieren und damit den aktiven Schutz vor Bakterien deutlich zu verbessern. Doch damit nicht genug. Die Forschenden haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie ein individuell auf den Patienten oder die Patientin abgestimmtes Antibiotikum einsetzen können. Die spezielle Beschichtungstechnik des Fraunhofer IFAM sorgt zudem für eine kontrollierte Freisetzung der antimikrobiellen Substanzen: Während das Antibiotikum sofort nach Einbringen des Implantates vollständig freigesetzt wird, entfalten die Silberpartikel ihre oberflächennahe Wirkung langsam und über einen längeren Zeitraum. So wird ein anhaltender Schutz auch während der Heilungsphase erzielt.

Made in Bremen: Beschichtungs-Technologie mit Laser

Das Beschichtungsverfahren setzt auf bewährte, für das Projekt weiter entwickelte Technologien. »Im ersten Schritt wird die Oberfläche des Titan-Implantats mit einem Laser strukturiert. Dadurch entsteht eine poröse Schicht«, erklärt Borcherding. Auf der Titanoberfläche entstehen winzige, für das menschliche Auge unsichtbare Vertiefungen, mit einer Größe im Mikrometerbereich. Diese sind amphorenförmig, oben eng, nach unten weit. Durch Dampfphasenabscheidung bringen die Forschenden im zweiten Schritt eine Schicht mit Silberpartikeln auf. 

Bei der Operation können diese amphorenförmigen Poren beladen werden. Unmittelbar vor der Implantation taucht der Arzt oder die Ärztin das bereits mit Silber beschichtete, sterile Implantat in eine Lösung mit dem Antibiotikum ein. »In den präklinischen Studien haben wir gesehen, dass der ganze Vorgang nur wenige Minuten dauert und sehr einfach zu handhaben ist«, sagt Prof. Wildemann. Sobald das Implantat, also beispielsweise ein Hüft-, Knie- oder Schultergelenk, eingesetzt wurde, beginnt die Freisetzung des Antibiotikums in das umliegende Gewebe. Bakterien, die eine Infektion auslösen könnten, werden schnell abgetötet. Die Silberbeschichtung wirkt verzögert und wesentlich länger. Die Silberionen sind über mehrere Wochen aktiv und schützen während der Heilungsphase vor Infektionen.

Zahlreiche Labortests

Auf dem Weg zum Erfolg mussten zahlreiche Versuche durchgeführt werden. Sowohl in Labortests mit humanen Knochenzellen als auch im Tiermodell wurden die Biokompatibilität und die Osteo-Integration, also das Einwachsen des Implantats in den Knochen, untersucht. »Eine Herausforderung bei der Entwicklung bestand beispielsweise darin, dass die Konzentration des Antibiotikums hoch genug ist, die Bakterien zu töten. Andererseits durfte sie nicht so hoch sein, dass die anwachsenden Knochenzellen geschädigt werden«, erklärt Borcherding. In diesem Zusammenhang weist IFAM-Experte Borcherding auf einen weiteren Vorteil hin. Die infolge der Laserbehandlung poröse Titanoberfläche lässt den Knochen noch besser einwachsen. Das bestätigt auch Prof. Wildemann: »Unsere Studie hat gezeigt, dass der Knochenkontakt durch die Oberflächenmodifikation gesteigert werden konnte: 89 % Kontakt bei Implantaten mit der Hybrid-Beschichtung und nur 52 % Knochenkontakt in der Kontrollgruppe. Zusätzlich konnten wir nachweisen, dass die Zellen in die amphorenförmigen Poren hineinwachsen und das Implantat dadurch deutlich besser fixieren«.

Bei Herstellern von Implantaten und Beschichtungsdienstleistern stößt das Projekt bereits auf großes Interesse. Vor allem, da für die genutzten Verfahren keine neuen Implantate entwickelt werden müssen. Auch bereits verfügbare Produkte können beschichtet werden. Die Gespräche mit Herstellern werden in der letzten Phase des Projektes intensiviert, um die Anwendung der Technologie in naher Zukunft für Patienten zu ermöglichen.

 

1 Izakovicova P., et al. 2019, DOI: 10.1302/2058-5241.4.180092

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